Im Herbst 2013 übernahm Franzika Berger die Pflegedienstleitung im Spital Bülach. Seit Januar 2014 unterstützt sie Janine Härtsch als Stellvertreterin. Im Interview sprechen die beiden Pflegefachfrauen über regionale Unterschiede im Gesundheitswesen, Entwicklungen in der Pflege und die Freude am schönen Pflegeberuf.
Um 11 Uhr begrüsst mich Franziska Berger am Empfang und führt mich in ihr Büro, in welchem ein ergonomischer Schreibtisch auf Bauchhöhe steht. Janine Härtsch stösst hinzu und setzt sich neben mich an den Sitzungstisch.
Frau Berger und Frau Härtsch, was war Ihr Wunschberuf als Kind?
Franziska Berger: Bereits früh wollte ich Krankenschwester werden, zuvor vielleicht etwas mit Tieren.
Janine Härtsch: Als Kind wollte ich immer Cowboy werden, bis ich merkte, dass dies leider kein Beruf ist. Nach dem zehnten Lebensjahr war jedoch klar: Ich werde Krankenschwester.
Seit anfangs Jahr bilden Sie gemeinsam die Pflegedienstleitung im Spital Bülach. Frau Berger kam im Herbst von der Region Bern, Frau Härtsch war bis Ende 2013 in Basel tätig. Inwiefern spüren Sie regionale Unterschiede?
Franziska Berger: Die regionalen Unterschiede sind spürbar. Beide Kantone sind unterschiedlich organisiert. So führt beispielsweise die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich klarer, strukturierter und transparenter. Das Spital Bülach ist in einer wachsenden Region aktiv und hier verankert. Im Kanton Zürich werden die Spitäler von Gemeinden und Städten gesteuert; in Bern gehören die Aktiengesellschaften dem Kanton. Der Kanton Bern hat entsprechend Interessenskonflikte, da er den Leistungsauftrag definiert, konkurrierende Spitäler betreibt, die Spitalliste herausgibt und Spitäler revidiert. Erschwert wird die Situation durch eine Überschuldung des Kantons und massiven Sparmassnahmen. Zudem ist die Spitaldichte deutlich höher; entsprechend kämpft man um Patienten. Hier in Zürich geniessen wir eine feudale Situation als Spital mit hohem Ansehen in der Region.
Janine Härtsch: Ein Vergleich ist für mich aktuell noch schwierig, da ich erst seit Januar hier arbeite. Auch der Kanton Baselland hat Schulden und muss sparen. Eine weitere Schwierigkeit für den Kanton Baselland ist die hohe Bettendichte in der Stadt Basel. Entsprechend ist es für den Kanton Baselland wohl ähnlich herausfordernd wie im Kanton Bern.
Wie führen Sie? Was zeichnet Ihre Führungsart aus?
Franziska Berger: Ich führe situativ und partizipativ, da ich davon ausgehe, dass im Pflegekader das nötige Wissen vorhanden ist und Leitplanken eingehalten werden. Benötigt eine Führungskraft Unterstützung, erwarte ich, dass sich diese Person meldet. Wenn dies funktioniert, führe ich sehr zurückhaltend; falls nicht, führe ich mit engeren Rahmenbedingungen. Meine Funktion sehe ich als Pflegevertretung innerhalb der Spitalleitung, im Sinne der Patienten und des Pflegeteams. Ebenfalls wichtig ist mir der betriebswirtschaftliche Aspekt, welchen wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen.
Janine Härtsch: Auf jeder Autobahn gibt es Maximal- und Minimalgeschwindigkeiten sowie Leitplanken. Darin können sich die Führungspersonen frei bewegen. Wichtig ist, dass das Kerngeschäft funktioniert und damit die Gesamtinteressen des Spitals gewahrt werden. Entsprechend führe ich ähnlich wie Frau Berger.
An welchen Projekten arbeitet das Pflegeteam im Spital Bülach?
Franziska Berger: Übergeordnet ist zurzeit die Umwandlung des Zweckverbands in eine Aktiengesellschaft das wichtigste Projekt für das Spital. Da wir beide neu sind, haben wir viele Ideen für die Zukunft. Wichtig sind mir Optimierungen der Prozesse, der Patientenpfad innerhalb des Spitals und die neue KIS-Integration (Klinikinformations-System) in diesem Jahr. Überregional möchten wir einen attraktiven und fortschrittlichen Arbeitgeber sein, um die Personalrekrutierung zu vereinfachen.
Gute Pflegefachkräfte sind gesucht. Warum ist das Spital Bülach ein attraktiver Arbeitgeber für Pflegepersonal?
Franziska Berger: Wir sind ein Spital mit einer überschaubaren Grösse. Man kennt sich; der Umgang ist persönlich. Das Spital Bülach bietet Entwicklungsmöglichkeiten und ein breites Spektrum der regionalen Grundversorgung. Für das Personal gibt es Parkplätze, eine eigene Kinderkrippe, Teilzeitstellen und seit diesem Jahr fünf Ferienwochen. Lohnmässig halten wir uns an die kantonalen Vorgaben.
Wie wird sich die Rolle der Pflege, im Hinblick auf die Veränderungen im Gesundheitswesen, verändern?
Janine Härtsch: Ein breiterer Blick auf andere Themen wie der betriebswirtschaftliche Gedanken wird notwendig sein. Diese Entwicklung ist bereits im Gange, muss sicherlich aber weiter entwickelt werden.
Franziska Berger: Die Behandlungsmethoden und –techniken sowie der Personalmix verändern sich; nicht jedoch die Kernarbeit der Pflege. Entsprechend ist mir wichtig, dass am Patientenbett qualifizierte Fachkräfte arbeiten. Wenn nur noch alle in Qualitätszirkeln und Projekten mitarbeiten und Führungsaufgaben übernehmen wollen, hat sich die Akademisierung der Pflege falsch entwickelt. Der grösste Teil der Pflegende wird weiter im Schichtbetrieb auf den Pflegestationen arbeiten mit all den Vor- und Nachteilen.
Wie beeinflussen Sie als Pflegedienstleitung diese Entwicklung konkret im Sinne der Pflege?
Franziska Berger: Wir versuchen dies mitzusteuern, indem wir beispielsweise die richtigen Pflegenden, mit der richtigen Ausbildung am richtigen Orten einsetzen. Weiter investieren wir stark in die Ausbildung, auch um die Personalrekrutierung zu vereinfachen. Gegen aussen engagieren wir uns in politischen Gremien und nehmen an Diskussionen teil wie aktuell zur Pflegeinitiative, um das Pflege-Berufsbild im Krankenversicherungsgesetz (KVG) zu stärken. Zum Vergleich: In Amerika können Pflegende heute bereits gewisse Leistungen selbst verordnen und abrechnen. Es benötigt nicht für alles einen Arzt.
Wie überzeugen Sie ältere Generationen der Pflegenden, neue Wege zu gehen (neue Berufe integrieren, weniger Körperpflege, etc.)?
Franziska Berger: Dafür ist keine Überzeugung notwendig. Ich glaube die Durchmischung der Teams unterstützt diesen Prozess automatisch. So muss eine Pflegende, welche Lernende betreut, selbst à jour sein. Gegenseitig kann man so auch viel lernen: Die Berufserfahrung der älteren Mitarbeitenden ist Gold wert; aktuelle Pflegethemen wie der Pflegeprozess ist bei den Jungen präsenter. Beides ist wertvoll. Wichtig scheint mir, dass wir den Patienten nicht aus den Augen verlieren. Für ihn ist es egal, ob es im Hintergrund komplexe Pflegeprozesse gibt oder nicht. Der Patient möchte primär gesund und ernst genommen werden.
Wie ist der Pflegedienst im Spital Bülach organisiert?
Franziska Berger: Der Pflegedienst im Spital Bülach ist noch klassisch organisiert. Auf den Abteilungen gibt es Stationsleitende und eine Stellvertretung, welche direkt – ohne Bereichsleitungen – von uns beiden geführt werden. Eine Abteilung umfasst zwischen 25 und 30 Betten. Unterstützt wird die Linie von Stabsstellen wie die Pflegeexperten, der Ausbildungsbereich und das Sekretariat. Insgesamt umfasst der Pflegebereich, inklusive Operationssaal, Disposition, Rettungsdienst und Seelsorge, über die Hälfte des Personals.
Auch im Pflegedienst werden zunehmend Arbeitsschritte standardisiert. Wie weit ist das Spital Bülach diesbezüglich?
Franziska Berger: Der Pflegeprozess ist standardisiert. Wie schon erwähnt wird dieses Jahr das neue Klinikinformations-System (KIS) eingeführt. Weiter sind wir am Projekt des Patientenpfades. Ein Teilziel dessen ist sicherlich ein höherer Standardisierungsgrad. So möchten wir beispielsweise mehr Schemas für regelmässige Krankheitsbilder erarbeiten und einsetzen, um Pflege und Ärzte zu entlasten.
Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflege im Spital Bülach?
Franziska Berger: Die Aufgabenbereiche sind klar getrennt. Der Arzt trägt die fachliche Verantwortung. Beide Bereiche respektieren sich gegenseitig und führen als Team die Kernprozesse des Spitals.
Was ist erfolgsentscheidend innerhalb der Geschäftsleitung als Pflegedienstleitung? Tipps und Tricks für Kollegen des Pflegemanagements?
Franziska Berger: Geschäfte müssen gut vorbereitet sein. Allenfalls lohnt es sich, zuvor mit einzelnen Kollegen zu sprechen. Verhindern soll man Überraschungen. Eine grosse Rolle spielt zudem das gegenseitige Vertrauen und die Wertschätzung. So muss man vertrauen können, dass die Kollegen im Rahmen des Budgets agieren. Zudem unterstützt die hohe Sozialkompetenz im Gesundheitswesen die Zusammenarbeit im Alltag enorm.
Haben Sie den optimalen Skill- und Grade-Mix entdeckt? Wie packen Sie das Thema an?
Franziska Berger: Wir arbeiten daran. Es ist sehr vielschichtig (Schichtbedarf, Krankheitsbilder, Kosten, Bezugspflege, Ausbildungen, betriebswirtschaftliche Interessen etc.). Einige Jahre wird es wohl noch dauern, da der Skill- und Grade-Mix gerade aus Patientensicht noch nicht optimal ist. Weiter haben wir noch kein Konzept, wie die Bachelor-Absolventen optimal eingesetzt werden sollen. Bei meinem früheren Arbeitgeber im Kanton Bern haben wir den optimalen Skill- und Grade-Mix wissenschaftlich erhoben. Ob dieser jedoch stimmt, muss sich in der Praxis zuerst zeigen.
Janine Härtsch: Der optimale Skill- und Grade-Mix wird es wohl nie geben. Dies, da sich das Gesundheitswesen ständig verändert und das Angebot des Spitals angepasst werden muss. Entsprechend muss sich auch die Pflege immer wieder daran orientieren und sich stets verändern.
Wo steht die Pflege im Spital Bülach in fünf Jahren?
Franziska Berger: Ich möchte alle Stellen besetzt haben. Das Spital Bülach soll ein beliebter Arbeitgeber sein und gute Fachkräfte anziehen. Der Pflegedienst des Spitals Bülach wird überregional ein Thema sein, beispielsweise an Kongressen, und Vorbild für andere sein. Weiter werden wir Projekte unterstützen, um die Pflege als Ganzes weiter zu bringen.
Mit welchen Trends wird sich die Pflege in den nächsten Jahren auseinandersetzen dürfen?
Franziska Berger: Die neuen Berufsbilder sind noch heute ein aktuelles Thema. Weiter sind kreative Lösungen für den Personalmangel gesucht.
Janine Härtsch: Ich hoffe, dass wir in der Schweiz von den Erfahrungen rund um die Fallpauschale in Deutschland lernen. So hat beispielsweise die Pflege in Deutschland an Stellenwert verloren. Ich hoffe, wir begehen diesen Fehler nicht.
Was wünschen Sie persönlich der Pflege für die Zukunft?
Franziska Berger: Genügend ausgebildetes Personal.
Janine Härtsch: Die Freude am schönen Pflegeberuf soll erhalten bleiben – im Team, für den Patienten.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Über Franziska Berger
Franziska Berger ist seit November 2013 Leiterin Pflegedienst und Mitglied der Geschäftsleitung im Spital Bülach im Zürcher Unterland. Die Pflegefachfrau ist seit über 25 Jahren in der Pflege.
Über Janine Härtsch
Janine Härtsch ist seit Januar 2014 stellvertretende Leiterin Pflegedienst im Spital Bülach im Zürcher Unterland. Die Pflegefachfrau arbeitet seit über 20 Jahren in der Pflege.